
Risiko evaluieren – kardiovaskuläre Ereignisse verhindern
Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass vor der Entscheidung für eine medikamentöse Prävention kardiovaskulärer Ereignisse eine Abschätzung des künftigen kardiovaskulären Gesamtrisikos stehen sollte. Hierfür stehen zahlreiche Scores zur Verfügung. Doch wann und bei wem sollte eine Risikokalkulation erfolgen? Und was ist der Unterschied zwischen den verschiedenen Risiko-Algorithmen?
Risikokalkulation – wann und bei wem?
In den europäischen Leitlinien (ESC/EAS) zum Management von Dyslipidämien wird ein eher ausschließender Ansatz gewählt. Eine Risikokalkulation mittels Risikoscore wird nur bei augenscheinlich gesunden Patienten mit Risikofaktoren (z. B. Bluthochdruck, aktives Rauchen, hohes Alter oder erhöhte Cholesterinwerte) empfohlen, bei denen keine atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 1/Typ 2, chronische Lebererkrankung oder keine hohe Anzahl individueller Risikofaktoren vorliegen.1 Die ESC/EAS-Leitlinien empfehlen die Verwendung eines Risikoscores, welcher sich auf länderspezifische Kohorten-Daten bezieht (z. B. SCORE).
Für die Entscheidungsfindung, ob und bei wem ein Risikoscore verwendet werden soll, wählt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM) im Vergleich zu der ESC/EAS-Leitlinie einen einschließenden Ansatz und empfiehlt dies bei Patienten, bei denen es Hinweise auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bzw. mögliche therapeutische Konsequenzen gibt. Welche Situationen laut DEGAM dazu gehören, lesen Sie in der nachfolgenden Aufklappbox.2
- Vorhandensein eines oder mehrerer der folgenden Risikofaktoren: Übergewicht besonders mit bauchnaher Fettverteilung oder Adipositas
- Neu-Auftreten eines oder mehrerer Risikofaktoren, dazu zählen: Rauchen, Hypertonie, erhöhte Lipidwerte, Diabetes Typ 2, positive Familienanamnese
- Frauen > 60 Jahre bzw. Männer > 55 Jahre im Rahmen einer Gesundheitsuntersuchung
- Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko (Kalkulation sollte regelmäßig in Abständen von 1–2 Jahren erfolgen)
- Personen > 35 Jahre mit hoher psychosozialer Belastung, mit niedrigem Bildungsstand oder aus einer niedrigen sozialen Schicht
- Auf Patientenwunsch
Bei Personen, die keinen der „klassischen“ Risikofaktoren (Rauchen, erhöhter Blutdruck oder ungünstige Cholesterinwerte, Diabetes mellitus, kardio- oder zerebrovaskuläres Ereignis bzw. Erkrankung) aufweisen, kann aus pragmatischen Gründen auf eine formale Risikoberechnung verzichtet werden, wenn aus der Konstellation schon prima vista ein geringes Risiko gegeben ist.2
Die Autoren der DEGAM-Leitlinie empfehlen in ihrem Anwendungsbereich zur Berechnung des kardiovaskulären Risikos den arriba-Rechner [Empfehlungsgrad B].2
1, 2 oder 3: Die Risikokalkulatoren im Überblick
Es existieren viele unterschiedliche Berechnungshilfen. PROCAM, Framingham-Score (z. B. arriba) sowie der SCORE-Deutschland sind Risiko-Algorithmen, die speziell für Deutschland entwickelt bzw. adaptiert worden sind.2
Ein wesentlicher Unterschied bei arriba im Vergleich zu den Rechnern PROCAM und SCORE stellt die Einschätzung hinsichtlich eines Diabetes als Risiko-Äquivalent dar: Anders als PROCAM und SCORE setzt arriba die Diagnose eines Diabetes nicht unmittelbar mit dem Zustand einer Sekundärprävention gleich, sondern empfiehlt eine Risikokalkulation auch bei Personen mit Diabetes und bezieht dabei das HbA1c als Risikomarker ein. Zudem bezieht sich arriba auf die kardiovaskulären Ereignisse und nicht nur auf die Mortalität.2
Mehr zu den Kalkulatoren können Sie in den nachfolgenden Aufklappboxen erfahren.
Auf Basis des Framingham-Scores und einzelnen Risikowerten kann das individuelle Risiko errechnet werden, in den kommenden 10 Jahren ein kardiovaskuläres Ereignis (Herzinfarkt oder Schlaganfall) zu erleiden. Dieses Risiko wird mit dem durchschnittlichen Risiko in der jeweiligen Altersgruppe verglichen.2
In einem zweiten Schritt kann untersucht werden, welchen Einfluss einzelne Faktoren, wie zum Beispiel Sport, eine lipidsenkende Therapie oder der Verzicht auf das Rauchen haben. Dies kann Ihre Arzt-Patienten-Gespräche in Bezug auf Lebensstiländerungen unterstützen. Die einzelnen Seiten und Therapieempfehlungen für Patienten können einfach ausgedruckt werden.2
Der PROCAM-Test beruht auf einer prospektiven, epidemiologischen Beobachtungsstudie (N=23.616). Dabei wurde die Prävalenz von Risikofaktoren für koronare Herzerkrankungen in der deutschen Bevölkerung bestimmt.3 Die evaluierten Prädiktoren können Sie der Abbildung 2 entnehmen.
Der PROCAM-Test berechnet das Risiko für einen Herzinfarkt in den nächsten 10 Jahren. Die PROCAM-Tests sind jedoch nicht anwendbar für Personen, die bereits klinische Symptome von Gefäßerkrankungen oder in der Vergangenheit bereits ein kardiovaskuläres Ereignis (Herzinfarkt oder Schlaganfall) erlitten haben.2
Der SCORE-Rechner basiert auf 12 repräsentativen europäischen Kohortenstudien (N=205.1784). Er ist unterteilt in Regionen mit hohem und Regionen mit niedrigem Risiko in Europa, so kann der SCORE-Rechner für die einzelnen Länder angepasst werden.1
Mittels der Parameter Geschlecht, Alter, Raucherstatus (ja/nein), systolischer Blutdruck in mmHg und Gesamtcholesterin in mmol/l (mg/dl) lässt sich anhand des SCORE-Diagramms der ESC (European Society of Cardiology) das 10-Jahres-Risiko für die kardiovaskuläre Mortalität bei scheinbar gesunden Personen ableiten.1
Kommunikation ist der Schlüssel
Die Risikostratifizierung ist die Basis, danach folgt das Arzt-Patienten-Gespräch und die gemeinsame Entscheidungsfindung. Damit eine Entscheidung gemeinsam getroffen werden kann, muss Ihr Patient genau verstehen, was zum Beispiel ein 10-Jahres-Risiko von unter oder über 7,5 % bedeutet.2
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren
Wie sicher ist Bempedoinsäure als Add-on-Therapie?
Veröffentlicht am 27.07.2022
Bempedoinsäure stellt eine zusätzliche Therapieoption zur Senkung erhöhter LDL-Cholesterin-Spiegel dar. Im folgenden Beitrag finden Details über die Verträglichkeit der Therapie und welche Patienten kontrollintensiver sind.
Disease Management Programme auf einen Blick
Veröffentlicht am 27.07.2022
Disease Management Programme (DMP) sollen die Versorgungsqualität in Deutschland verbessern. Fünf Fragen und Antworten über DMPs und das Programm für koronare Herzkrankheit (KHK) für Sie im Überblick.
Mögliche Ursachen für Muskelschmerzen unter Statintherapie
Veröffentlicht am 24.06.2022
Etwa 10-30 % der Patientinnen und Patienten berichten unter einer Statintherapie von Statin-assoziierten Muskel-Symptomen (SAMS). SAMS sind damit eine relevante Ursache für eine reduzierte Statin-Einnahmetreue.1 Welche Ursachen können für das Auftreten von SAMS vorliegen?
Referenzen:
- Mach F et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. European Heart Journal 2020;41(1):111-118.
- Ludt S et al. DEGAM S3-Leitlinie: Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention. AWMF-Register-Nr. 053-024. DEGAM 2017.
- Cullen P et al. The Münster Heart Study (PROCAM). Total Mortality in Middle-Aged Men Is Increased at Low Total and LDL Cholesterol Concentrations in Smokers but Not in Nonsmokers. Circulation 1997;96:2128–2136.
- European Society of Cardiology (ESC). Heart Score – Häufig gestellte Fragen. European Association of Preventive Cardiology.Online unter: https://www.heartscore.org/de_DE/faq. Zuletzt aufgerufen am 20.04.2021.