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Die unbequeme Wahrheit (Teil 1): 3 Lipid-Mythen im Faktencheck

Zum Thema „Cholesterin senken“ kursieren viele Informationen im Netz: Zahlreiche Ernährungstipps und der angeblich schädliche Einfluss von Cholesterinsenkern sind ein Dauerthema. Doch so einige Weisheiten gehören in den Bereich der Mythen. In unserer Rubrik „Die unbequeme Wahrheit“ machen wir den Faktencheck: Im heutigen Teil 1 klären wir: Was ist dran an Vitaminmangel, Demenz oder Rotschimmelreis?

„Statine führen zu Vitaminmangel“

Im Zuge der Nebenwirkungen von Statinen ist häufig davon zu lesen, dass Statine einen Vitaminmangel verursachen oder Vitamine sogar zerstören können.1 Patienten reagieren verunsichert, setzen die Präparate ab und/oder greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln.

In einem sehr guten Übersichtsartikel aus dem Jahr 2020 von Gröber zu häufig verschriebenen Medikamenten und deren Einfluss auf Mikronährstoffe wurde auch die Beziehung von Statinen und diversen Vitaminen diskutiert: darunter Vitamin D, Vitamin K2 und Coenzym Q10.1

  • Vitamin D: Am bekanntesten ist die Rolle von Vitamin D beim Knochenwachstum. Vitamin D reguliert aber auch den Blutdruck über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, das vaskuläre Zellwachstum, sowie inflammatorische und fibrotische Prozesse.2
  • Vitamin K2: Vitamin K ist ein wichtiger Kofaktor für viele Zellprozesse und kann z. B. Blutgefäße vor Kalzifizierung schützen.3
  • Coenzym Q10: Coenzym Q10 spielt eine essentielle Rolle in diversen menschlichen Geweben u.a. als Antioxidant in den Mitochondrien- und Lipidmembranen1

Generell gibt es keinen direkten mechanistischen Zusammenhang zwischen der Wirkung von Statinen und der Bildung bzw. dem Abbau von Vitamin D und K2 .1

Es gibt jedoch einen direkten Zusammenhang zwischen der Cholesterin- und der Coenzym Q10-Synthese, da beide den gleichen Syntheseweg nutzen, d.h. eine Inhibierung der Cholesterinsynthese bewirkt auch eine Inhibierung der Coenzym Q10-Synthese.1

Die Studienlage zu verringerten oder auch erhöhten Spiegeln der 3 Mikronährstoffe unter Statintherapie ist kontrovers, vor allem da die meisten Untersuchungen mit sehr geringen Patientenzahlen (n <100) durchgeführt wurden. Ähnliches gilt für die Studienlage zur Verringerung von statinassoziierten Nebenwirkungen (SAMS) mittels Supplementation der entsprechenden Vitamine. Auch hier konnte bisher nicht eindeutig belegt werden, dass die Supplementation einen positiven Effekt hat, obwohl der psychologische Effekt auf die Adhärenz sicherlich nicht zu unterschätzen ist.

Für einen Einfluss der Statine auf Vitamin B12 und andere B-Vitamine gibt es hingegen noch keine stichhaltige wissenschaftliche Evidenz.1

 

Fazit: Statine können den Spiegel von Coenzym Q10 reduzieren und möglicherweise auch für die Vitamin-D-Konzentration relevant sein. Es gibt jedoch keine Belege dafür, dass die Einnahme von Statinen einen generellen Vitaminmangel hervorruft und auch nicht dafür, dass eine Vitamin-Supplementation SAMS verringern kann. Treten bei Patienten unter einer Statin-Therapie Nebenwirkungen auf, können auch die Konzentrationen an Coenzym Q10 und Vitamin D überprüft und ggf. angepasst werden, da eine Supplementation im richtigen Maß keinen Schaden hervorruft.1

 


„1x täglich Rotschimmelreis reicht zur Cholesterinsenkung aus“

Als natürlicher Cholesterinsenker wird Rotschimmelreis immer häufiger beworben. Das verschreibungsfreie Ergänzungsmittel ist in der traditionellen chinesischen Medizin weit verbreitet.4,5 Rotschimmelreis entsteht durch Fermentation von handelsüblichem weißen Reis mit dem Schimmelpilz Monascus purpureus und wird in Reformhäusern als „natürliche Alternative“ zu Statinen beworben.4-6

Tatsächlich konnte ein cholesterinsenkender Effekt des Nahrungsergänzungsmittels belegt werden.6 Eine Metaanalyse aus 2015 untersuchte 20 randomisierte Studien hinsichtlich des LDL-C-Senkungspotentials von Rotschimmelreis vs. Placebo. Dieser Effekt ist darauf zurückzuführen, dass Rotschimmelreis Monacolin K enthält – ein Wirkstoff, der chemisch identisch zu Lovastatin ist.7

Zu beachten ist, dass Rotschimmelreisformulierungen nicht standardisiert sind. Dies hat zur Folge, dass zum einen die genaue Monacolin-K-Konzentration je nach Produkt schwankt und zum anderen Verunreinigungen durch Mykotoxine vorliegen können. So ist auch Rotschimmelreis nicht frei von Nebenwirkungen die maßgeblich Leber (z. B. Hepatotoxizität), Niere (z. B. Nierenschäden) und Muskeln (z. B. Myopathie) betreffen.4,6 Klinische Studien sind deshalb notwendig, um eine sichere Anwendung von Rotschimmelreis zu gewährleisten.7 Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) stufte Monakolin K sogar als ungeprüftes Arzneimittel ein und verbietet den Vertrieb von Monacolin-K-haltigem Rotschimmelreis in den USA – im Gegensatz zur EU.4,5 Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stuft Produkte mit einer Monakolin K Tagesdosis von mindestens 5 mg als Arzneimittel ein. Präparate mit niedrigeren Monakolingehalten gelten als Lebensmittel und müssen aufgrund möglicher Nebenwirkungen auf Verkehrsfähigkeit geprüft werden.8

 

Fazit: Die Einnahme von Rotschimmelreis ist aufgrund fehlender Qualitätskontrollen sowie seiner pharmakologischen Eigenschaften mit einem unkalkulierbaren Gesundheitsrisiko verbunden und deshalb nicht empfehlenswert.4,5 Auch das BfArM warnte bereits mehrfach vor bedenkenlosem Verzehr.8

 


„Statine verursachen Demenz durch den Mangel an Cholesterin im Gehirn“

Der Hinweis „Statine können bei Patienten zu kognitiven Beeinträchtigungen führen“ kam vermehrt in sogenannten Post-Marketing-Studien zu Statinen auf. Meta-Analysen konnten jedoch kein erhöhtes Risiko für eine kognitive Störung oder Demenz unter einer Statin-Einnahme feststellen.9,10

Paradoxerweise fanden die Forscher bei längerer Statin-Gabe sogar einen schützenden Effekt: Statine konnten das Risiko für Demenz und Alzheimer senken und kognitive Störungen verbessern. Dieser protektive Effekt wurde allerdings in klinischen Studien mit Alzheimer-Patienten bisher nicht belegt.9,10

Die wissenschaftliche Datenlage zu Statinen und kognitiver Beeinträchtigung ist nach wie vor widersprüchlich. Dabei basieren die gegensätzlichen Schlussfolgerungen auf zwei unabhängigen Wirkmechanismen: Die schädigende Wirkung der Statine wird damit erklärt, dass sie die Cholesterin-Level im ZNS reduzieren und somit das Gedächtnis schädigen. Die Gegenseite argumentiert damit, dass Statine auf lange Sicht das physiologische Gleichgewicht an Cholesterin wiederherstellen und in den Entstehungsprozess von Alzheimer eingreifen können. Die Autoren der jeweiligen Studien vermerken jedoch, dass Limitationen im Studiendesign (z. B. Einschlusskriterien) vorliegen und somit keine eindeutige Schlussfolgerung zulassen.9,10

 

Fazit: Ob Statine nun einen positiven oder negativen Effekt auf kognitive Fähigkeiten haben ist bislang nicht bewiesen, wohingegen die positiven Effekte auf Mortalität und kardiovaskuläre Ereignisse mehrfach belegt sind. Dennoch sollten in jedem Fall Patienten mit einem erhöhten Risiko für kognitive Dysfunktion frühzeitig erkannt werden – vor und auch während einer Statin-Therapie.9

 

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Referenzen:

  1. Gröber U. Common drugs as micronutrient disruptors: A selection for clinical practice. A epidemiol public health. 2020; 3(1): 1014. 

  2. Urena-Torres P, Souberbielle JC. Pharmacologic role of vitamin D natural products. Curr Vasc Pharmacol. 2014 Mar;12(2):278-85. doi: 10.2174/15701611113119990020

  3. Okuyama et al. Statins stimulate atherosclerosis and heart failure: pharmacological mechanisms. Expert Rev Clin Pharmacol. 2015; 8(2):189-99. doi: 10.1586/17512433.2015.1011125

  4. Shamim S et al. Red yeast rice for dysipidemia. Mo Med. 2013 Jul-Aug;110(4):349-54.  

  5. Smollich, Martin. Rotschimmelreis als natürlicher Cholesterinsenker? Ernährungsmedizinblog; unter: https://www.ernaehrungsmedizin.blog/2018/10/24/rotschimmelreis-als-natuerlicher-cholesterinsenker/ (aufgerufen am 13.04.2021). 

  6. Nguyen T, Karl M, Santini A. Red Yeast Rice. Foods. 2017;6(3):19. 

  7. Gerards MC et al. Traditional Chinese lipid-lowering agent red yeast rice results in significant LDL reduction but safety is uncertain—A systematic review and meta-analysis. Atherosclerosis. 2015;240:415–423. 

  8. BfArM und Paul-Ehrlich-Institut. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. 2016 Juni; 02:06-11. Verfügbar unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Bulletin/2016/2-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=5. Abgerufen am 10.06.2021.

  9. Schultz BG et al. The role of statins in both cognitive impairment and protection against dementia: a tale of two mechanisms. Transl Neurodegener. 2018;7:5. doi:10.1186/s40035-018-0110-3.

  10. Swiger KJ et al. Statins and cognition: a systematic review and meta-analysis of short- and long-term cognitive effects. Mayo Clin Proc. 2013 Nov;88(11):1213-21. doi: 10.1016/j.mayocp.2013.07.013

  11. Goldberg AC et al. JAMA 2019; 322(18): 1780–1788.

  12. Ballantyne CM et al. Atherosclerosis 2018; 277: 195–203.

  13. Ballantyne CM et al. Eur J Prev Cardiol. 2020; 27(6): 593–603.