Kardiovaskuläres Risikoprofil – Welche Patienten sind besonders gefährdet?
Da bei Patienten häufig gleichzeitig verschiedene Risikofaktoren vorliegen und miteinander interagieren, wird für die Auswahl der geeigneten Therapie eine systematische Einschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikoprofils empfohlen. Hierzu wurden unterschiedliche Systeme entwickelt, wie z. B. der Framingham-Score (Systematic Coronary Risk Evaluation)1, der PROCAM (Prospective Cardiovascular Münster Study)2-Score und das von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) mithilfe von Daten aus 12 europäischen Kohortenstudien entwickelte SCORE (Systematic COronary Risk Evaluation)-System3,4.
Einschätzung des kardiovaskulären Risikos (SCORE-System)
Die Abschätzung des 10-Jahres-Risikos für eine tödliche kardiovaskuläre Erkrankung der Bevölkerung gemäß SCORE basiert auf folgenden Risikofaktoren.3,4
SCORE stellt zudem unterschiedliche Charts für Regionen mit hohem und mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko bereit – Deutschland gilt hierbei als Niedrigrisiko-Region.4 |
Das SCORE-System ist anwendbar4
- bei asymptomatischen Erwachsenen im Alter über 40 Jahre
- sofern keine gesicherten atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankungen oder sehr hohe individuelle Risikofaktoren vorliegen
Hohes oder sehr hohes kardiovaskuläres Risiko
Allgemein wird bei Hochrisikopatienten zwischen Patienten mit hohem und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko differenziert.
- Bei gesichertem Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2, Vorliegen einer chronischen Nierenerkrankung, familiären Hypercholesterinämie oder bei prominenten Risikofaktoren, gehören diese Patienten automatisch zur Kategorie „hohes oder sehr hohes kardiovaskuläres Risiko“.2
- Die Unterscheidung zwischen hohem und sehr hohem Risiko basiert auf der Schwere des Diabetes und der Nierenerkrankung bzw. auf zusätzlich vorhandenen Risikofaktoren.
Patienten mit klinisch oder in bildgebenden Untersuchungen nachgewiesener atherosklerotischen Erkrankung haben definitionsgemäß immer ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko.

Einordnung der Risikokategorien gemäß europäischer Leitlinien (modifiziert nach Mach et al., 20204 undKatzmann et al., 20195); ACS: akutes Koronarsyndrom, ASCVD: atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung, CT: Computertomografie, eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, J: Jahre, RF: Risikofaktor, TIA: transitorische ischämische Attacke.
Warum Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko frühzeitig identifiziert werden müssen:
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Weitere Einzelheiten zu LDL-C-Zielwerten finden Sie hier
Wichtig: Patienten können unerkannt ein hohes kardiovaskuläres Risiko aufweisen, wenn z. B. ihre kardiovaskuläre Erkrankung noch nicht diagnostiziert worden ist – was bei dem typischerweise zunächst asymptomatischen Verlauf häufig vorkommt. Umso bedeutender ist die Kontrolle bekannter, modifizierbarer Risikofaktoren wie etwa eine Hypercholesterinämie.1
Jung und trotzdem gefährdet – das Konzept des Risikoalters
Das Risikoalter entspricht dem Alter einer Person ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren, die dasselbe kardiovaskuläre Risiko hat, wie eine jüngere Person mit Risikofaktoren.4,5 Personen mit einem prominenten Risikofaktor können daher ein wesentlich höheres Risikoalter aufweisen als es dem Alter bei optimaler Risikokonstellation entspricht.
So fällt beispielsweise ein 40-jähriger Raucher mit arterieller Hypertonie (180 mmHg systolisch) und einem auf 274 mg/dl (7,1 mmol/l) erhöhten Gesamt-Cholesterin-Wert in die gleiche Risikokategorie (3–4 %) wie ein 65-jähriger Nichtraucher mit einem Cholesterin von 165 mg/dl (4,3 mmol/l) ohne weitere Risikofaktoren:
Adäquate Therapiemaßnahmen, wie z. B. eine Senkung des Gesamt-Cholesterin- bzw. LDL-C-Werts können das Risikoalter in Richtung des Alters bei idealer Risikofaktorkonstellation senken4.
Mehr Informationen zu lipidsenkenden Therapien zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos
Referenzen:
- Prochaska JH et al. Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Herz 2018; 43: 87-100.
- Assmann G et al. Simple scoring scheme for calculating the risk of acute coronary events based on the 10-year follow-up of the prospective cardiovascular Munster (PROCAM) study. Circulation 2002; 105: 310-315.
- Piepoli MF et al. European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts). Developed with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). Eur Heart J 2016; 37:2315-2381.
- Mach F et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias: Lipid Modification to Reduce Cardiovascular Risk. Eur Heart J 2020; 41: 111-188.
- Katzmann JL et al. Europäische Leitlinien zu Lipiden 2019. Herz 2019; 44: 688-695.
- European Society of Cardiology/Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. ESC/EAS Pocketguidelines. Diagnostik und Therapie der Dyslipidämie. Börm Bruckmeier Verlag, Grünwald, 2019.