Blick durch die Lupe: Patient:innen mit (sehr) hohem CV-Risiko

Blick durch die Lupe: Patient:innen mit (sehr) hohem CV-Risiko

Im Lipidmanagement entscheidet das kardiovaskuläre (CV) Gesamtrisiko über die Intensität der präventiven Maßnahmen.1 Wie Sie Betroffene mit hohem und sehr hohem CV-Risiko ganz leicht erkennen können, erfahren Sie hier.

Wie würden Sie das kardiovaskuläre (CV) Risiko Ihrer Patient:innen klassifizieren? Dieser Frage mussten sich Ärztinnen und Ärzte stellen, die Studienteilnehmende mit hohem und sehr hohem CV-Risiko in der aktuellen SANTORINI-Registerstudie betreuten, und sie kamen zu teils sehr unterschiedlichen Antworten.2

SANTORINI-Studie

Die SANTORINI-Registerstudie ist die erste große europaweite Beobachtungsstudie, die die Effektivität aktuell verfügbarer Therapieoptionen zum Lipidmanagement in der Routinepraxis dokumentierte, nachdem die aktuellen Leitlinien der European Atherosclerosis Society (EAS) und der European Society of Cardiology (ESC) 2019 veröffentlicht worden waren. Eingeschlossen wurden 9.602 erwachsene Patient:innen mit hohem und sehr hohem CV-Risiko, die eine lipidsenkende Therapie zur Primär- oder Sekundärprophylaxe benötigten.2 Die zentrale Fragestellung lautete: Erreichen Betroffene die vorgegebenen LDL-C-Zielwerte?2

Die Mehrheit orientiert sich an europäischen Leitlinien

Die Analysen der SANTORINI-Daten für 2.086 Studienteilnehmende aus Deutschland zeigte, dass Fachärzt:innen für Kardiologie (71,5 % der Behandelnden) bzw. Spezialist:innen für Diabetologie (13,4 %) und/oder Lipidologie (12,9 %) in über 50 % der Fälle die aktuellen ESC/EAS-Leitlinien als Entscheidungsgrundlage verwendeten. In 39,3 % der Fälle nutzten die Expert:innen ihre klinische Erfahrung zur Risikoklassifikation. Weitere 5,7 % der Behandelnden gaben an, nationale bzw. regionale Leitlinien als Basis zu nutzen. Die übrigen Betreuenden (1,8 %) verwendeten eine andere Grundlage, ohne diese für die Studie genauer zu spezifizieren.2

Egal auf welcher Grundlage Sie Ihre Patient:innen mit hohem bzw. sehr hohem CV-Risiko klassifizieren: Ein Blick auf die kardiovaskulären Risikokategorien der EAS/ESC-Leitlinien schadet nicht und kann hilfreich für die CV-Risikoeinschätzung sein.

CV-Risikokategorie: hoch

Laut den aktuellen ESC/EAS-Leitlinien fallen in die CV-Risikokategorie „hohes Risiko“ folgende Personen:1

  • Betroffene mit deutlich erhöhten einzelnen Risikofaktoren, besonders Gesamtcholesterin > 8 mmol/l (> 310 mg/dl), LDL-C > 4,9 mmol/l (> 190 mg/dl) oder Blutdruck ≥ 180/110 mmHg
  • Patient:innen mit familiärer Hypercholesterinämie (FH) ohne weitere Hauptrisikofaktoren
  • Betroffene mit Diabetes mellitus (DM) ohne Endorganschäden*, mit DM-Dauer ≥ 10 Jahre oder anderen zusätzlichen Risikofaktoren
  • Menschen mit mittelschwerer chronischer Nierenerkrankung (CKD, eGFR 30–59 ml/min/1,73 m2)
  • Menschen mit einem 10-Jahres-Risiko für eine tödliche CV-Erkrankung ≥ 5 % und < 10 %, berechnet mithilfe des Systematic-Coronary-Risk-Estimation(SCORE)-Systems. (Hier erfahren Sie mehr über SCORE und darüber, wie Sie das kardiovaskuläre Risikoprofil berechnen).

Um das Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen (Atherosclerotic Cardiovascular Diseases; ASCVDs) zu senken, empfehlen die Leitlinienautor:innen bei Betroffenen mit hohem Risiko eine LDL-C-Senkung um mindestens 50 % gegenüber dem Ausgangswerta und einen LDL-C-Zielwert < 1,8 mmol/l (< 70 mg/dl).1

CV-Risikokategorie: sehr hoch

Unter die Kategorie „sehr hohes CV-Risiko“ fallen folgende Personen:1

  • Menschen mit einer klinischen oder durch einen eindeutigen Befund in der Bildgebung dokumentierten ASCVD. Dies umfasst die Anamnese eines akuten Koronarsyndroms (Myokardinfarkt oder instabile Angina pectoris), stabile Angina pectoris, koronare Revaskularisierung, Schlaganfall, eine transitorische ischämische Attacke oder periphere arterielle Erkrankungen sowie Befunde+, die sich als prädisponierend für klinische Ereignisse gezeigt haben.
  • Patient:innen mit DM mit Endorganschäden* oder mit ≥ 3 Hauptrisikofaktoren oder mit einem frühen Beginn eines Typ-1-Diabetes mellitus mit langer Krankheitsdauer (> 20 Jahre)
  • Menschen mit schwerer CKD (eGFR < 30 ml/min/1,37 m2)
  • Personen, deren berechneter SCORE bei ≥ 10 % für ein 10-Jahres-Risiko einer tödlichen CV-Erkrankung liegt
  • Patient:innen mit FH mit ASCVD oder mit anderen Hauptrisikofaktoren

Für Patient:innen mit sehr hohem Risiko empfehlen die Autor:innen eine LDL-C-Senkung ≥ 50 % gegenüber dem Ausgangswerta und einen LDL-C-Zielwert < 1,4 mmol/l (< 55 mg/dl). Bei Patient:innen mit ASCVD, bei denen innerhalb von 2 Jahren ein zweites vaskuläres Ereignis (nicht unbedingt derselben Art wie das erste Ereignis) auftritt, obwohl sie die maximal verträgliche Statintherapie erhalten haben, kann sogar ein LDL-C-Zielwert von < 1,0 mmol/l (< 40 mg/dl) erwogen werden.1

Good to know: koronare Herzerkrankung

Die koronare Herzerkrankung (KHK) ist eine chronische Krankheit, bei der eine Arteriosklerose zu einer zunehmenden Verengung der Herzkranzgefäße führt. Das häufigste Symptom ist im fortgeschrittenen Stadium die Angina pectoris.3 Als häufige Komplikationen gelten Herzinfarkte, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. Laut dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung ist die KHK die häufigste Todesursache in Deutschland.4 Betroffene fallen nach der CV-Risikoklassifizierung der aktuellen ESC/EAS-Leitlinien immer in die Kategorie „sehr hohes Risiko“.

Daher gilt: bei Ihren KHK-Patient:innen unbedingt auf LDL-C-Werte achten und orale Medikationen ausschöpfen.

 

* Organschaden ist definiert als Mikroalbuminurie, Retinopathie oder Neuropathie.

a Der Ausdruck „Ausgangswert“ bezieht sich auf den LDL-C-Spiegel bei einer Person, die keinerlei lipidsenkende Medikamente einnimmt oder auf den extrapolierten Ausgangswert derjenigen, die aktuell in Behandlung sind.        

 

Quellen:

  1. Mach F et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 2020;41:111–188.
  2. Stuerzebecher PE et al. [Treatment and LDL cholesterol adjustment in patients with high and very high cardiovascular risk in Germany compared with Europe - data from the SANTORINI registry]. Dtsch Med Wochenschr 2023;148:55–64.
  3. Busch MA, Kuhnert R. 12-Monats-Prävalenz einer koronaren Herzkrankheit in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017 2(1). Robert Koch-Institut, Berlin.
  4. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung. Aktuelle Zi-Studie zu bundesweiten Inzidenztrends diagnostizierter Herzerkrankungen in den Jahren 2013–2021 veröffentlicht (20.04.2023); unter: https://www.zi.de/detailansicht/erkrankungsrisiko-kardialer-erkrankungen-nimmt-schrittweise-ab-deutliche-reduktionen-bei-neuerkrankungen-rueckgang-vor-allem-bei-koronarer-herzkrankheit-und-herzinsuffizienz (abgerufen am 23.10.2023).

Das könnte Sie auch interessieren:

Artikelbild - Haben Sie den Spürsinn von Dr. House

Haben Sie den Spürsinn von Dr. House?

Eine junge Frau berichtet immer wieder über starke Muskelschmerzen unter einer lipidsenkenden Therapie mit Statinen. Die Diagnose scheint klar. Doch…

Lipidtherapie: mit der richtigen Kombination zum Erfolg

Aktuelle Studien zeigen: Zu wenige Patient:innen mit Hypercholesterinämie und hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko erreichen die empfohlenen…

Das Plus für Ihre Patient:innen: Add-on-Therapien zur CV-Risikoreduktion

Aufgepasst im Schaltjahr 2024: Mit dem 29.02. gab es dieses Jahr einen Tag geschenkt, sozusagen ein „Add-on“ im Kalender. Der ideale Anlass, um auch…